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Einige Wörter zur Bernadett Madörin's Ausstellung in Kunstportal
Sursee (Eröffnung 9.12.2009)

 

 

Wir stehen wieder mal vor den Arbeiten Bernadett Madörin‘s. Es sind grosse Grafitzeichnungen und kleine Aquarelle. Es sind vergrössere Abbildungen von einzelnen Pollenkörner, die kleinen Bestandteile der Blütenstaub. Ein Pollenkorn ist etwa 10 Mikrometer im Diameter, halb so dick, wie ein menschliches Haar. Ohne Mikroskop sind Pollenkörner wahrnehmbar nur in grossen Mengen. Wenn man unvorsichtig durch blühendes Gebüsch geht, bekommt gelbe Schultern oder Rücken.

 

Es gibt Menschen, die nie durch einen blühenden Wald, oder Gebüsch gehen dürfen. Der Polen ist, was ihnen Angst macht, sie niesen, husten, weinen und geraten sogar in Lebensgefahr beim Kontakt mit ihm. Dabei gibt es nichts Natürlicheres als den Blütenstaub. Ihm verdanken die blühenden Pflanzen Millionen von Jahren erfolgreiche Evolution. Vielleicht aber genau die Natürlichkeit diesen kleinen, für die Entfaltung der Natur unentbehrlichen Teilchen, reizt unsere Immunsystem so übertrieben. Ein Immunsystem, welche durch die enormen Anstrengungen, sich sicher hinter Fenstern und Türen vom Feind Natur zu verstecken, überempfindlich geworden ist.

 

Jetzt aber, da wir das Gefühl haben, von der Natur sicher zu sein (was noch lange nicht stimmt) finden wir Natur schön. Wir finden sie interessant und wir wollen alles wissen über sie. Das was wir glauben, entdeckt zu haben ist, dass die Natur aus Dinge besteht. Wir nehmen alles, was atmet uns sich bewegt, alles, was wächst und sich vermehrt, auseinander und benennen seine Teile - Spezies, Exemplare, Organe, Zellen, Organellen, Moleküle - alles Bestandteile verschiedenen Mechanismen, Dinge, Maschinen. Wir glauben wahrhaft, dass die Natur aus Dinge besteht, manche nützlich, manche gefährlich, nur, weil wir uns selbst immer nur nach Dinge richten.

 

Manchmal, aber erkennen wir, dass es gar keine Dinge gibt. Es gibt Materie, eine einzige Materie, welche mit unglaublichem Geschick ihre Formen wechselt. Mal ist sie eine Wolke Sternenstaub, mal ist sie ein Berg, mal eine Blume, mal ein Mensch. Die Atome wandern von anorganische in die lebende Materie und umgekehrt, von einem Lebewesen in einem anderen. Vielleicht ist ein der Kohlenstoffatomen meines Körpers mal ein Teil eines Dinosauriers gewesen, vielleicht stammt er aus einem Meteorit vom Himmel.

 

Wir wissen, dass die Materie gegliedert ist und wir staunen, wie eigenständig ihre Einzelteile sind. Früher glaubte man, dass jeder Baum, auch jeder Stein eine Seele hatte. Heute finden sich immer mehr Beweise dafür, dass Strukturen nach Selbsterhaltung streben. Es ist so, als ob sich aus der Einheit der Materie, eine Eigenständigkeit ihrer Einzelteile herleiten lässt.      
Nach den Beobachtungen des chilenischen Biologen Francisco Varela, verfügen alle lebende Strukturen, über die Fähigkeit zur, wie er es nennt Autopoiesen, oder Selbstherstellung. Man leitet aus seine und aus andere Beobachtungen und Experimente den Schluss, dass sobald eine Struktur, die Leben ermöglicht, vorhanden ist, automatisch die Fähigkeit entsteht, sich Ziele zu setzten, es entsteht Willen. Subjektivismus ist kein Eigenschaft der Bewusstsein höher entwickelten Wesen, sonder sie entsteht schon auf zelluläre und körperliche Ebene.

 

Jedes Lebewesen ist vom Streben, sich zu erhalten und sich möglichst weit zu entfalten getrieben. Sogar dem einzelnen Teile einer Zelle folgen diese Prinzipien. Auch ein Eiskristall, einmal bei bestimmte Temperatur entstanden, bleibt bei viel höhere Temperaturen eine Weile erhalten.

 

Wir sind gewohnt vom Biologieunterricht, das was in einer Zelle passiert, als getrennte entgegen gesetzten Prozessen zu betrachten  - Abbau und Aufbau. Doch es finden sich immer mehr Beweise dafür, dass all diese Prozesse möglich sind, nur wenn sie ungetrennt geschehen. Abbauende und aufbauende Strukturen arbeiten jede für sich und dadurch steuern und unterstützen sich einander. Daraus entsteht eine perfekt funktionierende Zelle. Nur das Selbsterhaltungsstreben emanzipierter Strukturen ermöglicht ein vernetztes Ganzes. Eine Zelle ist ein vernetztes Ganzes, ein Körper ist das, die Natur ist ein vernetztes Ganzes. Es sieht so aus, dass, nur wenn jeder das macht, was er will, nur dann herrscht Harmonie.

 

Warum erzähle ich das alles hier. Ganz einfach, weil ich fasziniert bin, von dem Wandel der Naturwissenschaften, der jetzt gerade passiert. Halbwahrheiten, wie der Darwinismus werden als herrschende Theorien langsam abgeworfen. Die Konkurrenz wird nicht mehr als eine Antriebskraft der Evolution gesehen, sondern, als ein störendes Nebeneffekt, als etwas, das dem Streben nach Selbsterhaltung jeder einzelnen Lebewesen im Wege steht, also vermeiden es die Lebewesen, in dem sie sich aus dem Wege gehen und verschiedene ökologische Nischen besetzen. Nicht gnadenloser Kampf zwischen irgendwelche Stärkeren und Schwächeren, sondern das Respekt von der Subjektivität der anderen, der aus der eigenen Subjektivität entsteht, leitet die Weiterentwicklung der Lebewesen.

 

Und was hat das alles mit den Zeichnungen von Bernadett Madörin's zu tun? Schönheit entsteht aus der Eigenständigkeit. Diese erstaunliche Formen, die unsere Fantasie erregen, sie sind der Ausdruck der absoluten Subjektivismus der Pflanzen. Und Polen ist ein starkes Beispiel dafür. Es ist das sicherste Bestimmungsmerkmal für die Botaniker. Durch den Vergleich von Polenkörner kann man Verwandtschaftslinien nachweisen. Ausserdem ist die äussere Hülle der Pollenkörner das meist resistente Material der Natur, den wir kennen. Ein Pollenkorn, wie man es auf diesen wunderbaren Zeichnungen sieht, strotzt gerade von Subjektivismus mit seinen Stacheln und Wölbungen - "Ich  werde mich fortpflanzen, darin besteht kein Zweifel". Und diese Aussage trägt jeder einzelner Pollenkorn von tausenden, die aus einer einzigen Blüte stammen. Die Polle ist nur eine Fortpflanzungszelle, doch sie ist genau so eigenwillig, wie die Pflanze, die sie sendet.

 

Wir Menschen sind nicht viel anders, egal, was für Pflichten und äussere Aufgaben wir erfüllen, egal, was wir für Verhaltensweisen nachmachen, jeder von uns ist in sich ein Pollenkorn, der nur Leben in sich trägt und nichts mehr. Egal, was mit uns passiert, wir wollen leben und noch mehr leben, uns entfalten, so weit, wie es geht. Und oft geht es nicht so weit, wie wir möchten. Oft sehen wir uns gezwungen, uns zu bremsen, zurück zu halten.  Mit schnell gebasteltem Egoismus versuchen wir unseren unterdrückten natürlichen Subjektivismus zu ersetzten, was und die angeborene Würde raubt. Und eigentlich brauchen wir so was nicht, weil egal, wie gekränkt wir sind, schlägt das ursprüngliche Prinzip des Lebens auch in uns immer durch. 

 

Kunst ist auch ein Ausdruck dafür. Uns fasziniert keine nachgemachte zwanghafte Kunst, sonder eigenständige, subjektive,  mit Selbsterhaltungsdrang erfüllte Kunst. Die Bilder von Bernadett faszinieren mit doppelter Selbständigkeit -  mit dieser als Kunstwerke und mit der Eigenständigkeit der Pollenkörner.

 

Die Künstlerin hat in ihren grossen Grafitzeichnungen durch mühsame Arbeit, reale, vergrösserte Aufnahmen von Polen abgebildet. Durch diese intensive Begegnung hat sie ihre eigene Fantasie erweitert und die kleinen Aquarelle gestaltet, die erfundene Pollenkörner zeigen. Die Idee, die Faszination, lebt weiter als eine neue Welt, bewohnt von Subjekten mit dem Willen zur Selbsterhaltung, wie alles in der Natur. Die abgebildete, genau so, wie die erfundene Pollenkörner sind dadurch genau so natürlich und real, wie die, Sommerluft erfühlende, echte Pollen. Es gibt im Grunde nichts Künstliches. Es gibt nur verdrängte und betäubte, oder sich entfaltende Natur. Vielleicht ist Allergie ein Ausdruck geschwächter Beziehung zum allumfassenden Netzt eigenständiger, lebenden Strukturen. Bernadett hat mir mitgeteilt, sie hoffe, ihre Arbeiten werden vielleicht das Leiden der Menschen mit Pollenallergie etwas stillen. Vielleicht helfen sie unser überreizbarer Immunsystem sich zu erinnern, wer Freund ist und wer Feind. Ich halte es für durchaus möglich, das genau diese Bilder das ultimative Heilmittel Pollenallergie sind.

 

Alexander Obretenov

Künstler und Naturwissenschaftler

Waldibrücke, 13.11. 2008

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